Zugegeben: Eine provokante Frage, dennoch geistert sie in einigen Köpfen herum, logischerweise in jenen der etwas Älteren unter uns. Immerhin lässt sich die Unzufriedenheit mit jungen Leuten seit rund 5.000 Jahren nachweisen, die Zitatesammlung auf bildungswissenschaftler.de beginnt in jener Zeit und endet in der jüngsten Vergangenheit. So wird beispielsweise der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Hans Heinrich Driftmann aus dem Jahr 2011 mit den Worten “Fehlende Disziplin, mangelnde Leistungsbereitschaft, geringe Belastbarkeit – die Azubis machen unseren Unternehmen Sorgen” zitiert. Tatsächlich haben auch einige Markersdorfer Unternehmer solche Erfahrungen gemacht. Dass sich ähnliche Einschätzungen über junge Leute jedoch schon seit Jahrtausenden halten, sollte stutzig machen. Was ist dran?
Jede Generation ist andersJugend braucht Freiraum
Ein großes Problem entsteht, wenn die Generationen nicht mehr miteinander reden. Dann halten die Jugendlichen die Erfahrungen der Alten pauschal für veraltet und die Alten finden keinen Zugang mehr zum Wissen und den Interessen der Jungen. Hintergrund: Den jungen Leuten fehlt ja wirklich die Erfahrung, wie es ist, älter zu werden und dass man damit sein Leben neue Prioritäten setzt, andererseits haben Ältere oft vergessen, was ihr Verhalten in der Jugendzeit geprägt hat. Sich das jugendliche Verhalten ein wenig zu bewahren gehört übrigens zu den Rezepten, die dem Altern vorbeugen; darauf beruht das Geschäftsmodell der “Geheimen Welt von Turisede”, die Erwachsenen hilft, ihr kindliches Ich wiederzuentdecken.
Wer mit jungen Leuten über Lebensperspektiven und Motivation sprechen will, der sollte sich daran erinnern, welche Vorstellungen er selbst im Alter von 15, 16 oder 17 Jahren von seinem Leben hatte. Wenn wir ehrlich sind, müssen die meisten rückblickend wohl sagen: eher sehr vage. In diesem Alter müsse Jugendliche infrage stellen, was ihnen vorgegeben wird und ihre Grenzen ausloten. Und man muss berücksichtigen, dass junge Leute heutzutage ganz andere Fähigkeiten, Werte und Prioritäten entwickeln als jene, die Ältere gern sehen möchten; hier liegt wohl der Schlüssel dafür, dass die Alten die Jungen oftmals nicht mehr verstehen und deshalb kritisieren.
Wer lehrt Kinder das Lebensnotwendige?Kann die Schule alles leisten?
Aktuell wird ja häufig diskutiert, welche Anteile an der Bildungsverantwortung für Kinder Kindereinrichtungen und Schulen einerseits und die Eltern andererseits tragen. Diese Diskussion geht jedoch oft von einem idealen Elternhaus aus, in dem zwei Partner genügend Wissen und Zeit haben, sich sehr bewusst um ihre Kinder zu kümmern. Schon wird deutlich, dass die moderne Arbeitswelt das häufig nicht zulässt, etwa wenn Mutter oder Vater als Pendler oder zeitlich sehr flexibel arbeiten muss oder jemand gar alleinerziehend ist. Außerdem wissen Eltern oft selbst nicht, was wichtig und richtig für das Kind ist – schließlich wird Kindererziehung in der Schule nicht gelehrt, obgleich die gesellschaftliche Erwartungshaltung doch darin besteht, eine Familie zu gründen und Kinder großzuziehen.
Stichwort Schule: Ohne jeden Zweifel leisten die allermeisten Pädagogen eine hervorragende Arbeit. Dennoch kann man sich zuweilen des Eindrucks nicht erwehren, dass der Nürnberger Trichter hilfreich wäre, um den gesamten Stoff laut Lehrplan auf direktem Wege in die Köpfe der Schüler zu befördern. Kritiker verweisen darauf, dass Schüler immer mehr formales Wissen aufnehmen sollen und eine hirngerechte Wissenvermittlung nicht stattfinde. Auch wirkt die frühzeitige Konfrontation von Kindern mit Smartphones sowie Tablet-PCs als Lernhilfen der Entwicklung des Denkvermögens entgegen, der Zugang zu Bildschirmgeräten sollte bis zum Alter von etwa zwölf Jahren eine zeitlich streng begrenzte Ausnahme bleiben.
Wo die Bildungslücken liegenWoher sollen sie es denn wissen?
An der Schnittstelle vom Besuch der Oberschule zu einer weiterführenden Ausbildung und dann noch einmal im Alter von 18 Jahren, wenn die jungen Erwachsenen voll rechtsfähig werden, treten in bestimmten Situationen die Defizite im Wissen zutage. Einige Beispiele:
- Konflikte
Wo Menschen gemeinsam leben oder arbeiten, entstehen zwangsläufig auch Konflikte. Zwar kann man nicht alle Konflikte, beispielsweise bei Interessenkollisionen, komplett lösen, jedoch sollte man gelernt haben, wie man damit umgeht und welche Vorgehensweisen es gibt. So lassen sich Konflikteskalationen, ob sie nun zu lebenslanger Feindschaft, zur Ehescheidung oder Gewaltausbruch führen, besser verhindern. - Rechtliches Grundwissen
Nicht nur bei Jugendlichen ist eine gewisse Naivität in Rechtsfragen zu beobachten. Grundwissen zum Vertragsrecht oder die Fähigkeit, Folgen und Risiken aus eingegangenen Verpflichtungen abzuschätzen, sind oft zu wenig ausgeprägt.Oft orientieren sich Menschen an den Ratschlägen oder am Verhalten anderer, weil sie sich selbst mangels Wissen und Erfahrungen keine fundierte Meinung bilden können. Eine große Rolle spielt das bei langfristigen Entscheidungen, beispielsweise zur Hinterbliebenen- oder zur Altersvorsorge. Wer die gebotenen Möglichkeiten nicht selbst bewerten kann, liefert sich der Einschätzung anderer aus, die nicht zutreffen muss. Ein Beispiel sind Riesterverträge, die Leute abgeschlossen hatten, die auf die Grundsicherung im Alter zusteuerten: Zunächst wurde die gezahlte Riesterrente voll auf die Grundsicherung angerechnet, das Einkommen stieg im Alter durch die freiwilligen Einzahlungen also nicht; erst seit 2018 gibt es einen Freibetrag von 100 Euro sowie von 30 Prozent der diesen Betrag übersteigenden Riesterrente und damit wirklich ein höheres Alterseinkommen. Aufpassen muss man auch bei Lebensversicherungen, insbesondere bei der kapitalbildenden Variante. Hier muss beispielsweise geschaut werden, wie der gesetzliche Garantiezins für Neuverträge von derzeit 0,9 Prozent wirksam wird, denn er wird nur auf den Sparanteil der Einzahlungen gezahlt – und der unterscheidet sich bei den einzelnen Anbietern.
Angesichts der Konsumgesellschaft sollten junge Leute außerdem damit vertraut sein, wie die unterschiedlichen Kreditarten funktionieren und wie man ein Darlehen besichern kann. Hier kommt bei größeren Summen beispielsweise eine flexible Risikolebensversicherung infrage, deren Beiträge im Zuge der Kredittilgung sinken, weil die Versicherungssumme nur die jeweils verbleibende Restschuld abdeckt. Natürlich kann es nicht Aufgabe einer allgemeinbildenden Schule sein, Expertenwissen zu vermitteln, doch junge Leute müssen erkennen können, in welchen Situationen sie weitergehendes Wissen benötigen und wo sie dieses herbekommen.
- Lebensplanung
Wer die Erfahrung sozial unsicherer Abschnitte im Arbeitsleben gemacht hat ist vielleicht versucht, seine Kinder in ein sicheres Arbeitsverhältnis zu lenken. Was dabei ausgeblendet wird sind die Chancen eines selbstbestimmten Berufslebens und die mit einer Karriere – sei es nun als Angestellter oder Selbständiger – verbundenen viel größeren Möglichkeiten der Lebensgestaltung. Kinder sollten frühzeitig vielfältigen Kontakt zur Arbeitswelt haben, um später selbst entscheiden zu können, auf welchem Bildungs- bzw. Berufsweg sie glücklich werden. Übrigens kann man auch den Mut, sich neuen Herausforderungen zu stellen, vermitteln – wo der nicht gegeben ist, werden die Risiken gern überbewertet, was die persönliche Entwicklung hemmt. - Stil und Etikette
Darauf kommt es nicht so sehr an? Doch – und oftmals ganz entscheidend! Wie man sich ausdrückt und kleidet berichtet viel darüber, welche Lebenseinstellung man hat. Der “freundliche junge Mann” und die “nette junge Frau” kommen halt besser durchs Leben als ein Poltergeist, der nicht grüßen kann oder nicht hilfsbereit ist. Benimm-Regeln sind Grundwissen fürs ganze Leben, weil der erste Eindruck von Menschen nun einmal anhand von Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen entsteht.Sich freundlich und in vielen Situationen erwartungsgemäß zu verhalten ist kein Ausdruck von Schauspielerei oder Selbstaufgabe, sondern Teil sogenannter wohltuender Rituale – schließlich erwartet doch beispielsweise wohl jeder, dass man ihm in einem Ladengeschäft freundlich begegnet und im Bedarfsfall berät, anstelle gesagt zu bekommen: “Das müssen Sie schon selber wissen, was Sie kaufen wollen!”
Fazit: Die Jugend wird ganz gewiss nicht immer dümmer, doch wird es angesichts der rasant anwachsenden Menge des verfügbaren Wissens immer schwieriger auszuwählen, was gelernt werden sollte. Anders gesagt: Obgleich wir alle immer klüger werden, wird der Anteil des insgesamt verfügbaren Wissens, der auf jeden Einzelnen entfällt, immer kleiner.
Für junge Leute ist es wichtig, vom Elternhaus wie auch von der Schule auf die Anforderungen des Lebens vorbereitet zu werden. Dass dazu auch das Sammeln von Erfahrungen gehört, liegt in der Natur der Dinge.
Thomas Beier
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